Marvin Lollo
(he/him)



original *deutsch
\ Ich sehne mich nach Gleichgewicht.
\ Doch dafür reicht die Szene nicht.
\ Divergenz als Schatten der Gesellschaft.
\ So wird es gepriesen.
\ Doch wer denkt frei und das nicht nur in Krisen?
\ Divergenz ist es, die ein Potential entfacht.
\ Warum nutzen wir unsere Unterschiede nicht?
\ Die Welt ist viel mehr als beige und schlicht.
\ Diversität seh’ ich eher als Chance zur Entwicklung.
\ Diversität verbreitet jedenfalls nicht Tod und Vernichtung.
\ Menschen, die das Schlichte feiern.
\ Sie lösen Wut in mir aus.
\ Die Welt schlicht zu halten, das läuft auf Stillstand hinaus.
\ Statt wahrzunehmen, wollen Sie Gedanken verschleiern.
\ Mache ich Terz?
\ Oder schwimm’ ich im Schmerz?
\ Schaffe ich Verbundheit?
\ Oder bleibe ich im Hinterhalt?
\ Wut ist ein Katalysator.
\ Nutze ich sie sinnvoll, so klatscht es Beifall.
\ Nutze ich sie als Kompensator.
\ So bleibt nur der Zerfall.
translation *english
\ I yearn for balance.
\ But the scene isn't enough for that.
\ Divergence as the shadow of society.
\ That's how it's praised.
\ But who thinks freely, and not just in times of crisis?
\ It is divergence that ignites potential.
\ Why don't we utilize our differences?
\ The world is much more than beige and plain.
\ I see diversity more as an opportunity for change.
\ In any case, diversity does not spread death and destruction.
\ People who celebrate simplicity.
\ They make me angry.
\ Keeping the world simple leads to stagnation.
\ Instead of perceiving, they want to obscure thoughts.
\ Do I make a fuss?
\ Or do I wallow in pain?
\ Do I create solidarity?
\ Or do I remain in ambush?
\ Anger is a catalyst.
\ If I use it wisely, it is met with applause.
\ If I use it as compensation,
\ all that remains is decay.
credits
photography:
Neele Sakautzky
model & poem:
Marvin Lollo (he/him)
concept & clothes:
Melis Sivasli (they/them) / RESIST
2025
Viktor Ristoski
(they/them)




original *english
Drink Some Tea
\ Doctors told me that I didn't look sick.
\ That my posture and verb were fine in public.
\ So that if I feel bad, it is all about me.
\ And that when I am sad, I should drink more tea.
\ The police told me that I was a liar,
\ That no one my age is that innocent.
\ But they couldn't say it with proper grammar.
\ It's a low attack, but still. How incompetent!
\ My friends and family were once cruel.
\ Because I was myself in a way too unusual.
\ Sometimes I feel like this all means
\ That I am always alone behind the scenes.
\ It is seen as ingratitude when I raise my voice.
\ Yet, I can't take it anymore! On the top of my lungs,
\ I'll scream over and over ’They left us with no choice
\ But to take our word back and untwist our tongues.’
\ I was denied care, justice and love
\ Because that is not what our world is made of.
\ So, next time they tell you it's your fault,
\ Know well who keeps on perpetrating the assault.
translation *deutsch
Trink etwas Tee
\ Ärzte sagten mir, dass ich nicht krank aussähe.
\ Dass meine Haltung und Sprache in der Öffentlichkeit in Ordnung wären.
\ Wenn ich mich also schlecht fühle, läge das nur an mir.
\ Und wenn ich traurig sei, solle ich mehr Tee trinken.
\ Die Polizei sagte mir, ich sei ein:e Lügner:in,
\ dass niemand in meinem Alter so unschuldig sei.
\ Aber sie konnten es nicht mit korrekter Aussprache sagen.
\ Das ist eine schwache Anschuldigung, aber dennoch. Wie inkompetent!
\ Meine Freund:innen und Familie waren einst grausam.
\ Weil ich auf eine zu ungewöhnliche Art und Weise ich selbst war.
\ Manchmal habe ich das Gefühl, dass das alles bedeutet,
\ dass ich hinter den Kulissen immer allein bin.
\ Es wird als Undankbarkeit angesehen, wenn ich meine Stimme erhebe.
\ Aber ich halte es nicht mehr aus! Aus voller Kehle
\ werde ich immer wieder schreien: ‚Sie haben uns keine andere Wahl gelassen,
\ als unsere Stimme zurückzunehmen und unsere Zungen zu entwirren.‘
\ Mir wurden Fürsorge, Gerechtigkeit und Liebe verweigert,
\ weil unsere Welt nicht daraus besteht.
\ Wenn sie dir also das nächste Mal sagen, dass es deine Schuld ist,
\ dann sei dir bewusst, wer den Angriff immer wieder begeht.
credits
photography:
Neele Sakautzky
model & poem:
Viktor Ristoski (they/them)
concept & clothes:
Melis Sivasli (they/them) / RESIST
2025
Melvin
(she/her)



original *deutsch
\ Alle schauen
\ Alle Augen sind auf dir
\ Doch wer schaut richtig hin?
\ Wer erkennt dich, wenn du dich zeigst?
\ Wer glaubt, dich zu kennen?
\ Wer hört dich, wenn du schreist
\ und wer will es hören?
\ Hinter der Frau, die einst keine war und vielleicht für euch nie sein wird.
\ Abgestempelt,
\ schon vorher idealisiert oder gar aufgegeben.
\ Stille, Schweigen kälter als mein Sommer
\ wie können wir wachsen?
\ Ich hoffe auf einen warmen Winter für mich
\ ohne Vorurteile, ohne mich zu biegen.
\ Denn bald breche ich unter euren Augen auf mir.
\ Ich schließe lieber meine, denn ihr seht mich sowieso nicht.
\ Vielleicht eines Tages, ohne mich zu rechtfertigen oder zu erklären,
\ dann kann ich einfach sein.
\ Auch in deinen Augen.
translation *english
\ Everyone is watching.
\ All eyes are on you.
\ But who is really looking?
\ Who recognizes you when you show yourself?
\ Who thinks they know you?
\ Who hears you when you cry out,
\ and who wants to hear you?
\ Behind the woman who once was not and perhaps never will be for you.
\ Labeled,
\ idealized beforehand or even given up on.
\ Stillness, silence colder than my summer
\ how can we grow?
\ I hope for a warm winter for myself
\ without prejudice, without bending.
\ Because soon I will break under your eyes.
\ I'd rather close mine, because you don't see me anyway.
\ Maybe one day, without justifying or explaining myself,
\ then I can just be.
\ Even in your eyes.
credits
photography:
Neele Sakautzky
model & poem:
Melvin (sie/ihr)
concept & clothes:
Melis Sivasli (they/them) / RESIST
2025
melina
(she/her)



original *deutsch
Ich bin wütend darauf, dass ich jedes Mal wenn ich vor die Haustür gehe innerlich die Fäuste hebe. Wie beim Muay Thai: immer auf einen Angriff gefasst, immer die innerliche Sparring-Haltung.
Warum? Weil das Patriarchat draußen so allgegenwärtig ist. Das beste Beispiel: Männer, die auf der Straße nicht aus dem Weg gehen. Mittlerweile reicht es mir so sehr, dass ich keinen Platz mehr mache. Aber für mich bedeutet das einen innerlichen Kampf.
Schritt 1: Vorbereitung.
Schon wenn ich von weitem sehe, dass mir ein Mann entgegen kommt, bereite ich mich innerlich vor. Augen stur geradeaus (kein Blickkontakt, das lädt vielleicht zu irgendwas ein, aber auch nicht auf den Boden schauen, denn das wirkt unsicher). Je näher wir uns kommen, desto breiter mache ich mich, desto besser kann ich einschätzen: Wird er Platz machen oder nicht (meistens nicht).
Schritt 2: Aktion.
Jetzt der kritische Moment: Ziehe ich durch? Wenn ja, bedeutet das entweder Körperkontakt, weil mindestens ein Ellenbogen im Gegenüber landen. Im weniger schlimmen, aber dennoch nicht angenehmen Fall, bedeutet es, dass ich einen fremden Mann in meine komfortable Abstandszone gelassen hab. Urgh. Beides unangenehm. Aber ich hab mich behauptet. Immerhin.
Schritt 3: die Gedanken danach.
„Oder habe ich mich überhaupt behauptet?“, denke ich, vielleicht war es ja auch einer der sehr wenigen okayen Männer. Jetzt geht der innere Konflikt, zwischen meiner (vom Patriarchate anerzogenen?) Höflichkeit und meiner Wut auf Männer, die nicht aus dem Weg gehen, los.
So eine Begegnung begleitet mich manchmal den ganzen Tag.
Manchmal frage ich mich, ob es das wert ist (und auch das macht mich wütend).
Wird der Mann deshalb seine Stellung im System mehr reflektieren (wahrscheinlich nicht). Ist es meinen Seelenfrieden wert, ständig wütend zu sein, ständig in den innerlichen Kampfmodus zu gehen, Fäuste hoch, immer einen Angriff erwartend?
Ich bin ehrlich, ich schwanke so sehr, jedes Mal, zwischen Aufgeben und Kämpfen. Aber zu viele haben aufgegeben und zu wenige gekämpft. Also kämpfe ich.
translation *english
I'm angry that every time I walk out the front door, I raise my inner fists. Like in Muay Thai: always ready for an attack, always in an inner sparring stance.
Why? Because the patriarchy is everywhere outside. The best example: men who don't move out of the way on the street. I've had enough of it now, so I don't make space anymore. But for me, that means an internal struggle.
Step 1: Preparation.
As soon as I see a guy coming towards me from a distance, I prepare myself mentally. Eyes straight ahead (no eye contact, that might invite something, but don't look at the ground either, because that makes you look insecure). The closer we get, the wider I stand, the better I can assess: Will he make space or not (usually not).
Step 2: Action.
Now comes the critical moment: Do I go through with it? If so, that means physical contact, because as at least one elbow will touch the other person. In the less serious, but still unpleasant case, it means that I have let a strange man into my comfortable personal space. Urgh. Both are unpleasant. But I stood my ground. At least.
Step 3: Thoughts afterwards.
“Or did I stand my ground at all?” I think, maybe he was one of the very few okay men. Now the inner conflict between my (patriarchal-indoctrinated?) politeness and my anger at men who don't get out of the way begins.
An encounter like this sometimes stays with me all day.
Sometimes I wonder if it's worth it (and that makes me angry too).
Will the man reflect more on his position in the system because of it (probably not). Is it worth my peace of mind to be constantly angry, constantly in internal battle mode, fists raised, always expecting an attack?
I'll be honest, I waver so much, every time, between giving up and fighting. But too many have given up and too few have fought. So I fight.
credits
model & text:
melina (sie/ihr)
concept & clothes & photography:
Melis Sivasli (they/them) / RESIST
2025